Jahrespressekonferenz der IGEB vom 2. März 1999

Ungewisse Zukunft
Die immer größeren Probleme im Berliner Nahverkehr,
betrachtet aus der Sicht der Fahrgäste 

Jahrespressekonferenz des Berliner Fahrgastverbandes IGEB vom 2. März 1999

  1. Umgezogen

Das Fahrgastzentrum Berlin ist jetzt im S-Bf Jannowitzbrücke zu finden.

Wer Probleme mit Bussen und Bahnen in und um Berlin hat, kann sich seit vielen Jahren an das Fahrgastzentrum Berlin wenden, einer gemeinsamen Einrichtung des Berliner Fahrgastverbandes IGEB, des Verlages GVE (Gesellschaft für Verkehrspolitik und Eisenbahnwesen) und des Deutschen Bahnkunden-Verbandes (DBV), Landesverband Berlin.

Wegen der Bauarbeiten im Ostbahnhof ist das Fahrgastzentrum nun von dort in die neue Ladenpassage des S-Bahnhofs Jannowitzbrücke umgezogen. Wie bisher werden hier Beschwerden entgegengenommen, Informationen gegeben und vielfältige Materialien rund um den öffentlichen Verkehr verteilt bzw. verkauft. Kompetente Ansprechpartner stehen den Kunden der öffentlichen Verkehrsunternehmen zur Verfügung.

Das Fahrgastzentrum ist von Montag bis Freitag jeweils von 15 bis 19 Uhr für alle Fahrgäste geöffnet.
Während der abendlichen Sitzungen der einzelnen IGEB-Fachabteilungen sind Gäste herzlich willkommen.

Unsere neue Adresse:

Fahrgastzentrum Berlin
S-Bf Jannowitzbrücke
10179 Berlin

Die Telefon- und Faxnummer konnten von der bisherigen IGEB-Geschäftsstelle zum neuen Fahrgastzentrum "mitgenommen" werden:

Telefon: 030 / 78 70 55 11 Fax: 030 / 78 70 55 10

Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist das Fahrgastzentrum wie folgt erreichbar:

jeweils bis S- und U-Bahnhof Jannowitzbrücke

 


  1. BVG von Schuldenlast erdrückt

Verantwortlich für den Niedergang der BVG ist der Berliner Senat, der unverändert hilflos agiert bzw. reagiert.

Zum 31.12.1999 läuft der zwischen dem Land Berlin und der BVG geschlossene Unternehmensvertrag aus. Dieser Vertrag sollte die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die BVG im Jahr 2000 den aufgrund von EU-Richtlinien vorgeschriebenen Wettbewerb im Bereich des ÖPNV bestehen kann.

Obwohl die BVG den ihr vertraglich auferlegten rigiden innerbetrieblichen Sparkurs weitgehend umgesetzt hat, droht ihr dennoch aufgrund der immer größer werdenden Schuldenlast die Pleite. Bei einer vorschriftsmäßigen öffentlichen Ausschreibung der Verkehrsleistungen hätte die BVG gegen die auf den Verkehrsmarkt drängenden privaten Anbieter keine Chance. Verantwortlich dafür ist in erster Linie der Berliner Senat, denn der hat

Somit muß sich der Berliner Senat fragen lassen, wie lange die BVG unter solchen Bedingungen überhaupt noch weiter existieren kann bzw. wie er die Aufrechterhaltung des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin gewährleisten will.

Der Berliner Senat ist durch diese von ihm selbst herbeigeführte Situation offenbar völlig überfordert. Nachdem man sich monatelang an die unrealistischen und inzwischen wohl beerdigten Holdingphantasien der DB AG klammerte, ist man von einem - notwendigerweise ab 1. Januar 2000 umsetzbaren - Konzept für die BVG weit entfernt.

Damit ist das Ende der BVG nicht mehr weit. Als einzige Möglichkeit bleibt noch die umgehende Vorlage eines schlüssigen Unternehmenssanierungskonzeptes für die BVG, damit die EU einer nochmaligen Aussetzung der Ausschreibung von Verkehrsleistungen im Land Berlin zustimmt.

 


  1. Wegen Einsturzgefahr Zugverkehr einstellen?

Der Berliner Senat muß sich dringend um die Sanierung des Berliner U-Bahn-Netzes kümmern.

Die BVG steht mit der notwendigen Sanierung der Baulichkeiten der Berliner U-Bahn (Bahnhöfe, Tunnel usw.) vor einer gewaltigen finanziellen und technischen Herausforderung. Nach Schätzungen des Unternehmens belaufen sich die Sanierungskosten auf rund 3 Milliarden DM. Dem gegenüber erhält die BVG vom Land nur ca. 150 Millionen DM pro Jahr für notwendigste Instandsetzungen.

Das DIW hatte bereits 1998 darauf hingewiesen, daß die Ausgleichszahlungen, die die BVG vom Land Berlin erhält, in keiner Weise den besonderen Anforderungen bei der BVG gerecht werden (u.a. wegen der relativ hohen Kosten durch das hohe Alter der U-Bahn-Bauten).

Vor dem Hintergrund des dramatischen Sanierungsbedarfes fordert der Berliner Fahrgastverband IGEB vom Berliner Senat grundlegende Entscheidungen:


  1. Im Schneckentempo

Der Ausbau des Berliner Straßenbahnnetzes wird immer wieder verzögert und blockiert.

Trotz großer Pläne und vieler Versprechungen kommt der Ausbau des Straßenbahnnetzes in Berlin nicht voran. Seit dem Fall der Mauer haben die Bau- und Verkehrssenatoren der Stadt nicht einmal einen Kilometer Neubaustrecke pro Jahr realisiert. Ein zentrales Anliegen aus der Zeit des Mauerfalls, die Straßenbahnstrecken aus dem Ostteil zumindest bis zum ersten Schnellbahnhof im Westteil zu verlängern, wurde erst in einem einzigen Fall (Tram 23/24 im Wedding) realisiert.

Wie sinnvoll solche Durchbindungen sind, zeigt das Beispiel Rosenthal an der Grenze zum Märkischen Viertel: Die derzeit im ehemaligen Mauerstreifen endende Linie 53 kann günstig über den Wilhelmsruher Damm bis zum S- und U-Bahnhof Wittenau verlängert werden. Darüber hinaus müssen die Pläne, den Potsdamer Platz über die Leipziger Straße und den künftigen Lehrter Bahnhof in das Straßenbahnnetz einzubinden, mit Nachdruck vorangetrieben werden.

Um die vielen sinnvollen Projekte finanzieren zu können, fordert der Berliner Fahrgastverband IGEB den Berliner Senat auf, die U5-Verlängerung zurückzustellen und die hierfür eingeplanten Gelder in den Ausbau des Straßenbahnnetzes umzuschichten.

Zugleich muß der Berliner Senat endlich den gesetzlich erforderlichen und seit Jahren überfälligen ÖPNV-Bedarfsplan fertigstellen, der nachvollziehbar und verbindlich regeln soll, wo in Berlin in welche Strecke des Schienennetzes wann am sinnvollsten investiert wird.

 


     
  1. Wo bleibt die S-Bahn zum Westhafen?

Die Wiederinbetriebnahme des Nordring-Abschnittes zwischen Jungfernheide und Westhafen wird immer wieder verschoben.

Es ist noch nicht lange her, da sollten die ersten S-Bahn-Züge auf dem Nordring vom derzeitigen Endbahnhof Jungfernheide 1998 über Beusselstraße bis Westhafen verkehren. Durch das am S-Bf Westhafen mögliche Umsteigen von und zur U9 wäre hier ein wichtiger Lückenschluß im Berliner Schnellbahnnetz erreicht.

Doch dann wurde die Wiederinbetriebnahme dieses wichtigen S-Bahn-Abschnittes auf 1999 und inzwischen auf 2000 verschoben. Dies ist ungeheuerlich, da auf diesem Abschnitt keine baulichen Probleme im Wege stehen und die Verantwortlichen, die DB AG und der Berliner Senat, bis heute jede Erklärung für diese unverständliche Verzögerung schuldig geblieben sind.

Leider ist dieses nicht die einzige Baustelle im Berliner S-Bahn-Netz, die nicht fertig wird. So warten die Fahrgäste seit Jahren, daß endlich der begonnene Ausgang vom S-Bf Witzleben zum ICC fertiggestellt wird. Der Bahnhof wurde bekanntlich im Dezember 1993 wieder in Betrieb genommen, seither steht dort der Torso für den dringend benötigten Zu- bzw. Ausgang.

 


  1. RegionalExpressVerkehr - Fahren ohne Halten?

Der Berliner Fahrgastverband IGEB fordert die Beibehaltung der RE-Halte an den Bahnhöfen Alexanderplatz und Karlshorst

Mit der Aufgabe der RE-Halte am Bf Alexanderplatz zugunsten des Bfs Friedrichstraße leistete sich die DB AG im Dezember 1998 eine beispielose und unverständliche Fahrgastschikane. Kurz danach geriet auch noch der RE1-Halt am Bf Karlshorst in die Diskussion.

Dabei ist die großartige Kundenakzeptanz des RE-Verkehrs mit Sicherheit auch auf die Zahl und Lage der Bahnhofshalte zurückzuführen. Deshalb engagieren sich die Berliner Fahrgatverbände seit Monaten in vielfätiger Weise für die Wiedereinrichtung bzw. den Beibehalt der RE-Halte.

Hierbei erwarten wir insbesondere vom Berliner Senat, der bekanntlich für die Bestellung der RE-Halte verantwortlich ist und dafür an die DB AG zahlt, daß er sich stärker für die Fahrgastbelange engagiert. Anliegendes Schreiben zeigt, daß die Fahrgäste trotz zwischenzeitlich anders lautender Meldungen offensichtlich noch nicht am Ziel angekommen sind.


  1. InterRegio - das ungeliebte Kind der DB AG

Der Berliner Fahrgastverband hält das IR-Angebot für sehr wichtig und sieht vielfältige Möglichkeiten zur Verbesserung

Im Sommer 1998 sorgte die DB AG für Negativ-Schlagzeilen, als Pläne bekannt wurden, ab 27.9.1998 62 Fernzüge überwiegend im InterRegio-Verkehr einzustellen bzw. bei 42 weiteren Verbindungen den Laufweg zu verkürzen. Besonders drastisch sollten die Kürzungen in den ostdeutschen Bundesländern ausfallen.

Probleme ergeben sich für das IR-Angebot im wesentlichen aus folgenden Gründen:

1. Angebotsstruktur

In einigen Relationen besteht direkte Konkurrenz zwischen dem InterRegio- und RegionalExpress-Angebot. So werden z.B. zwischen Berlin und Stralsund praktisch die gleichen Fahrzeiten erreicht, obwohl der RegionalExpress sogar einige Halte mehr bedient. Ferner muß sich der InterRegio als Angebot des Schienenpersonenfernverkehrs selbst tragen, während der RegionalExpress-Verkehr als Bestandteil des Nahverkehrs von den Bundesländern bestellt und bezahlt wird.

2. Tarife

Konkurrenz besteht zwischen InterRegio- und Regionalverkehr, speziell durch das "Schöne-Wochenende-Ticket", das ausschließlich in Zügen des Regionalverkehrs gilt. Verschärft wird diese Situation nicht zuletzt durch die geplante Tariferhöhung am 1. April 1999, die für die ostdeutschen Bundesländer eine Angleichung an das Westniveau bringt. Unverständlich ist dies gerade vor dem Hintergrund hoher Arbeitslosigkeit und weiterhin bestehender, deutlicher Einkommensunterschiede.

3. Komfort

Hier schwindet der Vorsprung des IR-Angebotes zusehends. So bieten die Fahrzeuge des Regionalverkehrs der neuesten Generation (RE 160-Wagen) einen hervorragenden Fahrkomfort. Ein Grundangebot an Speisen und Getränken ist dort ebenso erhältlich wie im Fall der Minibar-Versorgung beim IR. In zahlreichen InterRegios wird dagegen kein Bistro-Wagen eingesetzt, eine Serviceleistungen, die eigentlich ein Produktmerkmal ist. Aus Sicht des Berliner Fahrgastverbandes IGEB sollten beim IR-Angebot nachfolgende Verbesserungen vorgenommen werden. Ziel muß dabei mindestens der Erhalt der Erschließungsqualität sein (mit Netzwirkung):

a) Führung aller IR-Züge innerhalb Berlins über die Stadtbahnstrecke.

b) Alle IR-Züge, bei denen dies die Zuglänge erlaubt, sollten auch im Bahnhof Friedrichstraße halten (bis zur Inbetriebnahme des Lehrter Zentralbahnhofes).

c) Mit Inbetriebnahme des Verkehrsprojektes Deutsche Einheit Nr. 3 Uelzen - Stendal Schaffung durchgehender IR-Verbindungen zwischen Berlin und Cuxhaven.

d) Schaffung umsteigefreier Verbindungen zwischen Berlin und den Urlaubsgebieten im Bereich Mölln/Ratzeburg; Einführung direkter IR-Verbindungen in der Relation Berlin - Schwerin - Wismar; Flügelzug im Abschnitt Ludwigslust - Büchen - Lübeck - Kiel.

e) Einführung umsteigefreier IR-Verbindungen in der Relation Berlin-Riesengebirge (mindestens an Wochenenden).

f) Schaffung einer Tagesrandverbindung zwischen Rostock und Berlin (Abfahrt Rostock: ab 20.30 Uhr).

g) Neuordnung des IR-Angebotes in der Relation Berlin - Stralsund - Schweden, Einführung je eines Zugpaares morgens, mittags und abends.

Beschleunigung der Züge durch Abbau von Wartezeiten an den Fährhäfen und in Stralsund.

h) Neuordnung des Zugangebotes in der Relation Berlin - Kopenhagen, InterRegio im Abschnitt Berlin - Rostock Überseehafen (Bau eines neuen Bahnsteigs erforderlich) - Schnellfähre - Gedser - Kopenhagen; die derzeitige Verbindung über Hamburg ist zu langsam und damit für den Fahrgast unattraktiv.

Bei der Tarifgestaltung sollte das bereits seit längerem von der DB AG angekündigte Relationspreissystem umgesetzt werden. Das würde eine tarifliche Begünstigung von schwächer genutzten Strecken, die für ein funktionsfähiges Interregio-Netz aber wichtig sind, ermöglichen.

 


  1. VBB - Die vertane Chance

Der neue Verbundtarif ist viel zu kompliziert und für viele Fahrgäste teurer.

Der Berliner Fahrgastverband IGEB begrüßt die nun zum 1. April 1999 durch den VBB (Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg) erfolgende Einführung eines einheitlichen Tarifsystems in den Ländern Berlin und großen Teilen Brandenburgs. Damit wird es möglich, mit einem Fahrschein alle Verkehrsmittel und-unternehmen in den beiden Ländern zu benutzen.

Aber trotz der jahrelangen Vorbereitungszeit ist das Ergebnis aus Fahrgastsicht äußerst mangelhaft:

1. Der künftige Verbundtarif ist viel zu kompliziert und unübersichtlich.

Unsere wichtigsten Kritikpunkte:

2. Ein Teil der Fahrgäste profitiert vom Tarifverbund durch günstigere Fahrpreise: Vor allem die (wenigen) regelmäßigen Langstreckenfahrer, die unterwegs verschiedene Verkehrsunternehmen benutzen müssen, haben Vorteile durch die in diesen Fällen dann günstigeren Monatskartentarife. Für eine erhebliche Zahl anderer Fahrgäste bedeutet der neue Verbundtarif jedoch (nach den z.T. gravierenden Tariferhöhungen der letzten Jahre) eine weitere, z.T. erhebliche Tarifsteigerung, wie die folgenden Beispiele zeigen:

Der Berliner Fahrgastverband IGEB fordert deshalb:

Im Interesse der Fahrgäste muß dieses komplizierte Tarifsystem schnellstens zugunsten einer einfachen und überschaubaren Tarifstruktur verändert werden, mit der insbesondere auch Familien nicht von der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel abgehalten, sondern neue gewonnen werden.
 
 

Gerhard J. Curth, Vorsitzender
Matthias Horth, Stellv. Vorsitzender
Christfried Tschepe, Stellv. Vorsitzender

© Berliner Fahrgastverband IGEB e.V.