Pressekonferenz der IGEB am 30.6.99

Pressekonferenz des Berliner Fahrgastverbandes IGEB e.V. am 30.6.99 im Fahrgastzentrum Bf. Jannowitzbrücke:

Acht Forderungen zum neuen BVG-Unternehmensvertrag aus Sicht der Fahrgäste

  1. Der Berliner Fahrgastverband begrüßt die vom Regierenden Bürgermeister Diepgen geäußerte Absicht, mit der BVG einen neuen Unternehmensvertrag auf der Basis des Berliner ÖPNV-Gesetzes und des Nahverkehrsplanes zu schließen.

    Das Abgeordnetenhaus beauftragte durch einstimmigen Beschluss vom 3.6.99 den Senat, für den Zeitraum von weiteren acht Jahren einen Unternehmensvertrag abzuschließen, durch den die BVG mit der Erbringung von Nahverkehrsleistungen im U-Bahn-, Straßenbahn- und Busverkehr beauftragt werden soll. Der Regierende Bürgermeister Diepgen sagte zwischenzeitlich den Abschluß eines entsprechenden Vertrages zu.

    Der neue Unternehmensvertrag soll u.a. dazu dienen, innerhalb der Vertragslaufzeit die BVG sozialverträglich zu restrukturieren und die Wettbewerbsfähigkeit der BVG bis zum Jahr 2007 herzustellen. Er ist auf der Grundlage des Berliner ÖPNV-Gesetzes und des Nahverkehrsplanes abzuschließen.

    Der Berliner Fahrgastverband befürwortet diese Entscheidung auf der Grundlage des vorliegenden Abgeordnetenhausbeschlusses ausdrücklich, da insbesondere das als Alternative immer wieder diskutierte Holdingmodell mit der DB AG eine erhebliche Ausdünnung des Verkehrsangebotes vorsah.

  2. Der Unternehmensvertrag ist bis Ende August abzuschließen.

    Der bisherige Unternehmensvertrag sah vor, dass bereits zum 31..12.1998 das Verhältnis zwischen dem Land Berlin und der BVG ab dem 1.1.2000 zu regeln ist. Erst nachdem das Abgeordnetenhaus den Senat aufgefordert hat, den Unternehmensvertrag bis zum 31.8.1999 abzuschließen, sagte der Regierende Bürgermeister Diepgen den Abschluß eines neuen Unternehmensvertrages zu.

    Der Regierende Bürgermeister muß nunmehr zu seinem Wort stehen und dafür Sorge tragen, dass der Unternehmensvertrag bis Ende August abgeschlossen wird, weil der Vertrag vor Inkrafttreten von der EU notifiziert werden muß. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass insbesondere die für ihre Verschleppungs- und Verzögerungstaktik in Sachen ÖPNV schon legendäre und hier federführende Senatsverkehrsverwaltung nun erstmal in die Sommerpause geht und versucht den Vertragsabschluss – möglicherweise bis über den Wahltermin am 10.Oktober 1999 hinaus - zu verschieben.

  3. Im Unternehmensvertrag müssen deutlich verbesserte Rahmenbedingungen für BVG zugunsten eines deutlich effizienteren Betriebes vereinbart werden.

    Wichtigste Voraussetzung dafür ist die Beschleunigung von Straßenbahn und Bus. Die BVG hat detaillierte Untersuchungen vorgelegt, in welchen Straßenabschnitten Busspuren angelegt oder andere Beschleunigungsmaßnahmen durchgeführt werden müssen. Die Berliner Straßenbahnen erreichen eine Reisegeschwindigkeit von gerademal 17 km/h, und immer noch verzögert und verschleppt die Senatsverkehrsverwaltung die überfällige Einführung von Vorrangschaltungen an Ampeln. Damit die BVG - im Interesse des Landeshaushalts und vor allem im Interesse der Fahrgäste - wirtschaftlich effizient arbeiten kann, müssen entsprechende Beschleunigungsmaßnahmen vertraglich gesichert werden.

  4. Im Unternehmensvertrag ist eine finanztechnische Trennung zwischen Infrastrukturkosten und Kosten für den Betrieb der Verkehrsmittel vorzunehmen.

    Mit einer solchen finanztechnischen Trennungsrechnung, bei der insbesondere die Vorhaltekosten für die Schienenstrecken der U- und Straßenbahn gesondert dargestellt werden, wird die Kostenstruktur im ÖPNV nachvollziehbarer und sie dient der Kostenwahrheit im Verkehrsbereich. Insbesondere die in den nächsten Jahren aufzubringenden, erheblichen Kosten zur Sanierung des U-Bahnnetzes müssen getrennt ausgewiesen werden und vom Berliner Senat getragen werden. Ebenfalls getrennt auszuweisen sind Aufwendungen für Ruhegeldaufwendungen sowie Beiträge zur Versorgungskasse.

  5. Bei der Vertragsgestaltung sind Bonus-/Malusregelungen für den Fall von steigenden bzw. sinkenden Fahrgastzahlen zu vereinbaren.

    Um der BVG einen wirtschaftlichen Anreiz zu geben, sich verstärkt um neue Fahrgäste zu bemühen, sollten die zu vereinbarenden Zahlungen an die tatsächlichen Fahrgastzahlen geknüpft werden.

  6. Es ist vertraglich zu festzulegen, dass die BVG sozial schwachen Bevölkerungsgruppen - auch über die gesetzlich festgelegten Regelungen hinaus – Fahrpreisermäßigungen einräumt.

    Gesetzlich geregelt sind bisher nur Erstattungszahlungen des Landes Berlin an die BVG für die Beförderung von Schwerbehinderten und Schülern. Die der BVG hierfür zustehenden Leistungen hat der Senat zukünftig entsprechend den gesetzlichen Regelungen vollständig zu leisten. Darüber hinaus sollte vertraglich die Freifahrt von Kindern unter 6 Jahren, die Ermäßigungen für Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose, sozial schwache Rentner und für Familienabos festgelegt werden.

  7. Der Umfang der zu bestellenden BVG-Verkehrsleistungen muss vom Land Berlin auf der Basis des Nahverkehrsplanes gegenüber den bisher erbrachten Verkehrs leistungen um ca. 5 % bis 10 % gesteigert werden.
    • U-Bahn

      Für die Laufzeit des Unternehmensvertrages ist mit der Inbetriebnahme von zwei U-Bahnstrecken zu rechnen:

      - U 2 vom U-Bf. Vinetastraße bis Bf. Pankow und

      - U 5 vom Bf. Alexanderplatz bis zum Lehrter Bahnhof.

      Darüber hinaus ist durch Regierungsumzug und Nutzungsintensivierung insbesondere im östlichen City-Bereich mit einer deutlichen Zunahme des Fahrgastaufkommens zu rechnen, so dass Taktverdichtungen im Berufsverkehr mindestens auf der U2 und der U6 erforderlich werden.

    • Straßenbahn

      Für die Laufzeit des Unternehmensvertrages ist laut Senatsbeschluß vom 18.5.99 mindestens von der Inbetriebnahme folgender Streckenverlängerungen auszugehen, die dem Vertrag zugrundegelegt werden müssen:

      - Verlängerung von Revaler Straße bis zum U-Bf. Warschauer Straße

      - Weiterführung vom Prenzlauer Tor über Karl-Liebknecht-Straße zum Alexanderplatz

      - Verlängerung von Buchholz, Kirche in das Wohngebiet Buchholz-West,

      - Köpenick, Müggelheimer Straße

      - Anbindung Wissenschaftsstadt Adlershof

      - Streckenverlängerung Bernauer Straße - Invalidenstraße bis zum Lehrter Bf.

      - Neubaustrecke vom Alexanderplatz über Spittelmarkt zum Potsdamer Platz.

    • Bus

      Durch die vom Berliner Senat vorgesehenen Siedlungserweiterungen am Stadtrand (z.B. Karow, Buchholz, Kladow) wird die Einrichtung neuer Buslinien erforderlich. Ebenso dringend ist eine Netz- bzw. Taktverdichtung in der Innenstadt (z.B. fehlende ÖPNV-Verbindung Moabit – Regierungsviertel oder z.B. der völlig unzureichende 20-Minuten-Takt der (Regierungs-) City-Buslinien 142, 257 oder 348).

      Es sollte der BVG auch zukünftig ermöglicht werden, einen Teil insbesondere der (Bus-)Verkehrsleistungen durch Unterauftragnehmer erbringen zu lassen. Dies könnten vorrangig Verkehrsleistungen während der Schwachverkehrszeiten sein, die durch Kleinfahrzeuge bzw. Taxen sehr viel effizienter und fahrgastfreundlicher erbracht werden können.

  8. Der Berliner Fahrgastverband fordert den Senat auf, mit der BVG feste Qualitätsstandards zur Erbringung der Verkehrsleistungen zu vereinbaren. Verstöße gegen diese Vereinbarungen müssen zu finanziellen Sanktionen führen.

    Um ein attraktives Verkehrsangebot für die Fahrgäste sicherzustellen, ist unverzichtbar, Qualitätsstandards vertraglich festzuschreiben. Die im alten Unternehmensvertrag oder auch in den kürzlich mit der DB AG abgeschlosenen Verkehrsverträgen enthaltenen Regelungen sind diesbezüglich völlig unzureichend. Der Berliner Fahrgastverband hat die aus Fahrgastsicht wichtigsten Punkte im folgenden zusammengefaßt:

    • Platzangebot

      Das Platzangebot soll so bemessen sein, dass der mittlere Besetzungsgrad in der Spitzenstunde in Lastrichtung 65 % nicht überschreitet. In der Normalverkehrszeit soll der Besetzungsgrad als Mittelwert über die Stunde 50 % nicht überschreiten. Für Fahrten über 10 Minuten Beförderungszeit soll jedem Fahrgast ein Sitzplatz zur Verfügung stehen. Die eingesetzten Fahrzeuge sollen einen Sitzplatzanteil von mindestens einem Drittel aufweisen.

    • Anschlusssicherung

      An wichtigen Umsteigehaltestellen im Busnetz sind für die jeweiligen Hauptumsteigebeziehungen Anschlüsse fahrplanmäßig herzustellen (Ausnahme: bei Fahrplantakten unter 10 Min.). Die Sicherung der Anschlüsse - auch zwischen unterschiedlichen Verkehrsmitteln oder Verkehrsunternehmen - ist z.B. durch Funk bzw. RBL zu gewährleisten. Alle U-Bahnhöfe und alle Straßenbahnhaltestellen sowie wichtige Bushaltestellen sind mit einem dynamischen Fahrgastinformationsystem auszurüsten, so dass die Fahrgäste z.B. sofort über Betriebsstörungen informiert werden können.

    • Anforderungen an bauliche Anlagen und Fahrzeuge

      Die baulichen Anlagen und Fahrzeuge sind fahrgastfreundlich zu gestalten. Mobilitätsbehinderte und Fahrgäste mit Kinderwagen sollen durch eine entsprechende Gestaltung der Fahrzeuge und der baulichen Anlagen die öffentlichen Verkehrsmittel ohne fremde Hilfe nutzen können.

      • Die eingesetzten Fahrzeuge sollen die problemlose Beförderung von mindestens 2 Rollstuhlfahrern, 2 Kinderwagen oder 2 Fahrrädern ermöglichen (Ausnahme bei Einsatz von Taxen/Kleinbussen während der Schwachverkehrszeiten).
      • Im Zuge der Sanierung von U-Bahnhöfen ist generell der nachträgliche Einbau von Aufzügen vorzusehen. Die Funktionsfähigkeit der technischen Anlagen ist regelmäßig zu überprüfen, Reparaturen sind binnen 24 Stunden durchzuführen.
      • Die eingesetzten Fahrzeuge sollen deutlich als Linienfahrzeuge mit Liniennummer, Fahrziel und ggf. Laufweg erkennbar sein. In den Fahrzeugen sind Haltetellenansagen durchzuführen und mindestens ein Linienband mit Umsteigehinweisen zu installieren. Beim Einsatz von Kleinfahrzeugen ist im Fahrplan darauf hinzuweisen.
      • In den baulichen Anlagen und den eingesetzten Fahrzeugen ist der Einsatz von akustischen Werbemedien auszuschließen.
      • Die eingesetzten Fahrzeuge sollen hinsichtlich ihres Energieverbrauchs, ihrer Schadstoff- und Lärmemissionen dem neuesten Stand der Technik entsprechen.
    • Anforderungen an das Personal

      Das von der BVG eingesetzte Personal ist hinsichtlich des Gesamtverkehrs- und Tarifangebotes des VBB zu qualifizieren. Hinsichtlich des Umganges mit Fahrgästen sind durch regelmäßige Schulungen die Voraussetzungen für ein kundenorientiertes Verhalten des Personals zu schaffen.

    • Fahrgastsicherheit

      Den Sicherheitsbedürfnissen der Fahrgäste ist bei der Gestaltung der baulichen Anlagen und der Fahrzeuge besonders Rechnung zu tragen. Alle U-Bahnhöfe sind auch während der Schwachverkehrszeiten mit Personal zu besetzen sowie mit entsprechenden technischen Einrichtungen auszustatten (SOS-Melder, ggf. Kameraüberwachung auch von Zugängen). Zusätzliches Sicherheitspersonal ist insbesondere während der Schwachverkehrszeiten in Abstimmung mit der Polizei in den Zügen einzusetzen. Das Sicherheitspersonal ist hinsichtlich des Umganges mit Fahrgästen auszubilden und soll auch für Verkehrs- und Tarifauskünfte zur Verfügung stehen.

    • Pünktlichkeit

      Es ist zu gewährleisten, dass die fahrplanmäßig vorgesehenen Verkehrsleitungen zuverlässig und pünktlich erbracht werden. Für die U-Bahn ist ein Pünktlichkeitsgrad von > 97 % sicherzustellen. Im Falle von Betriebsunterbrechungen im U- oder Straßenbahnnetz muß - sofern keine anderen Umfahrungsmöglichkeiten im Bahnnetz möglich sind - nach höchstens 30 Minuten ein Schienenersatzverkehr mit Bussen eingerichtet sein. Bei Ausfällen von Bussen muss innerhalb von höchstens 20 Minuten ein Ersatzfahrzeug eingesetzt werden.

    • Sauberkeit

      Die U-Bahnhöfe sind täglich zu reinigen. Grobe Verunreinigungen sind durch das Aufsichtspersonal sofort zu entfernen. Die Fahrzeuge sind mehrmals täglich zu säubern, sie sind täglich zu fegen und zu wischen, eine Grundreinigung hat mindestens monatlich zu erfolgen. Eine Außenwäsche der Fahrzeuge muß mindestens wöchentlich durchgeführt werden.

    • Fahrkartenverkauf

      Grundsätzlich muß in allen Fahrzeugen bzw. auf allen Bahnhöfen der Erwerb von Einzelfahrscheinen und Tageskarten für das Berliner Verkehrsgebiet und den engeren Verflechtungsbereich (ABC) möglich sein. Nach Vereinfachung des VBB-Bartarifes müssen Einzelfahrkarten und Tageskarten für das gesamte Verbundgebiet in den Fahrzeugen bzw. auf allen U-Bahnhöfen verkauft werden. Darüber hinaus ist der Erwerb von Zeitkarten an allen wichtigen Umsteigepunkten zu gewährleisten. Ferner soll ein dichtes Netz von privaten Verkaufsstellen eingerichtet werden.

Christfried Tschepe, Stv. Vorsitzender
Matthias Horth, Stv. Vorsitzender

© Berliner Fahrgastverband IGEB e.V.