Pressekonferenz vom 07. März 2000

Schon wieder Stadtbahnchaos

Am 1. März entgleiste ein ICE-T bei einer Betriebsfahrt auf der Humboldthafen-Brücke nahe dem Lehrter Stadtbahnhof. Ein defektes Rückschlagventil am Neigetechnik-Drehgestell soll dafür verantwortlich sein. Der entgleiste Wagen richtete erheblichen Schaden am Gleis und an der Brückenkonstruktion an, so daß Gleis 1 (Fernbahn Richtung Osten) fünf Tage lang repariert werden mußte.
Schlimm genug, daß die Reparatur so lange dauerte (angeblich sind die Holzschwellen hier "Maßanfertigung"), aber die weitere eingleisige Betriebsführung der Fernbahn war mindestens genauso schlimm für die Fahrgäste. Die RE-Züge wurden von der Stadtbahn genommen und endeten meist weit draußen. Der RE2 wendete in Spandau bzw. Schöneweide, wer zum RE5 wollte mußte sogar mit der S-Bahn bis Hennigsdorf oder nach Schönefeld rausfahren. Einzig der RE1 kam mit seinen Endpunkten Zoo und Ostbahnhof noch in die Innenstadt. Die S-Bahn fuhr ohne Einschränkungen.
Einige Fernzüge wurden eingleisig über die Stadtbahn geleitet, etliche begannen in Lichtenberg. Es gab erhebliche Verspätungen.

Ein großes Problem war - wie schon traditionell bei Störungen - die ungenügende Fahrgastinformation. Vor allem in den ersten beiden Tage gab es wiedersprüchliche Auskünfte zur Abfahrt der Züge. Fahrgäste irrten zwischen den Bahnhöfen der Stadtbahn umher auf der Suche nach ihrem Zug. Die Treppe zum Regionalbahnsteig in Friedrichstraße war einen Tag nach dem Unfall einfach mit einer rot-weißen Flatterleine abgesperrt. Keine weitere Information an der Treppe. Tags darauf waren drei rote Zettel mit Kurzinfos ausgehängt.
Auch die bundesweite DB-Telefon-Fahrplanauskunft wußte z. T. nichts von den Änderungen. Immerhin wurde hierfür eine spezielle kostenfreie Telefon-Auskunft geschaltet. Ob deren Existenz auch Berlin-Reisenden aus Köln oder Hamburg bekannt war?

Konsequenzen

  1. Wieder einmal macht sich schmerzlich bemerkbar, wie verwundbar der Bahnverkehr in Berlin ist.
  2. Die Situation hat wieder einmal bewiesen, daß die Parallelität, aber technische Unabhängigkeit von S-Bahn und Fernbahn eine wichtige Rückfallebene darstellt, auf die unter keinen Umständen verzichtet werden kann.
  3. Grundsätzlich muß es möglich sein, die Züge näher ans Zentrum zu führen. Endpunkte wie Spandau und Schönefeld sind vielleicht für einen Tag tragbar, aber nicht für einen längeren Zeitraum.
  4. Der Nordkreuz-Bau muß beschleunigt werden. Damit stünde ein weiterer attraktiver und zentrumsnaher Endpunkt zur Verfügung (Gesundbrunnen).
  5. Es muß möglich sein, den neuen Regionalbahnhof Potsdamer Platz von Süden aus anzufahren, bevor der Lehrter Bahnhof und der Tunnel endlich fertig sind (2006 oder später).
  6. Die Fahrgastinformation muß verstärkt und verbessert werden. An den Zugängen und Bahnsteigen muß kompetentes Personal Auskunft geben können - auch für nicht-deutschsprachige Fahrgäste.

Sicher wird es mit der Eröffnung des Nord-Süd-Tunnels eine bessere Rückfallebene geben, aber bis dahin dauert es noch mindestens sechs Jahre. Wenn man davon ausgeht, daß etwa alle halbe Jahre eine massive Störung auf der Stadtbahn eintritt, so haben wir noch viele Ersatzverkehre vor uns.

Gerhard J. Curth, IGEB-Vorsitzender
Florian Müller, IGEB Abt. S-Bahn und Regionalverkehr

© Berliner Fahrgastverband IGEB e.V.