Jahrespressekonferenz der IGEB am 20. Februar 2002
Jahrespressekonferenzdes Berliner Fahrgastverbandes IGEB
am 20. Februar 2002
Ist rot-rote Verkehrspolitik fahrgastfreundlicher?
Der Anspruch wird immer wieder formuliert. Aber bisher ist noch nicht zu erkennen, was für die Fahrgäste durch den Wechsel vom CDU/SPD- zum SPD/PDS-Senat grundlegend besser wird.
1. Berliner Fahrgastverband IGEB - wer wir sind und was wir tun
Der Berliner Fahrgastverband IGEB engagiert sich seit 1980 für attraktiven und bezahlbaren öffentlichen Nahverkehr. Der Berliner Fahrgastverband IGEB wurde 1980 gegründet und hat über 200 Mitglieder. Er analysiert das Angebot bei Bahnen und Bussen ebenso wie alle Planungen, bewertet diese aus Fahrgastsicht und macht häufig eigene Verbesserungsvorschläge. Zunehmend gibt es mit den Verwaltungen und Verkehrsbetrieben direkte Gespräche, doch die Öffentlichkeitsarbeit hat in der Arbeit des Verbandes einen unverändert hohen Stellenwert - zum einen über Pressedienste und Pressekonferenzen, zum anderen über die Zeitschrift SIGNAL. In diversen Beiräten sitzen IGEB-Mitglieder, so im BVG-Beirat und im SPNV-Beirat der Länder Berlin und Brandenburg.Auch 2001 konnte der Einfluss des Fahrgastverbandes genutzt und ausgebaut werden, um konkrete Verbesserungen für die Fahrgäste der öffentlichen Verkehrsmittel zu erreichen. So resultieren aus der Mitarbeit in den bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung angesiedelten Arbeitsgruppen "Plattform Umsteigen" und "Koordinierung S- und U-Bahn-Bau" einige wichtige Veränderungen, die pro Tag für tausende Fahrgäste Erleichterungen mit sich bringen.
Beispielsweise gelang es, nach mehr als 5 Jahren Einsatz am S-Bahnhof Tegel (S25) endlich eine Haltestelle für die Buslinie 133 zu bekommen und bei der Rekonstruktion des Busbahnhofes "Steglitzer Kreisel" am S- und U-Bf Rathaus Steglitz wichtige Verbesserungsvorschläge einzubringen.
Traditionell ist die Sammlung und Bearbeitung von Fahrgastbeschwerden ein zentraler Punkt in der Arbeit des Verbandes. Im Jahr 2001 erreichten uns insgesamt 528 Einzelbeschwerden. Davon betrafen
Schwerpunkte bei den Beschwerden zur BVG bildeten Unpünktlichkeit, Informationsmängel und - bedingt durch den katastrophalen Fahrzeugmangel beim Bus - der Einsatz von zu kleinen bzw. nicht behindertengerechten Fahrzeugen.
Im Zusammenhang mit der S-Bahn wurden vor allem genannt: Verspätungen, Änderungen im Fahrplanangebot, unfreundliches Personal.
Beschwerden zum Regionalverkehr betrafen neben Platzmangel in den Zügen vor allem die Art und Weise, wie die DB AG bei Betriebsstörungen und Bauarbeiten mit ihren Kunden umgeht. Unzureichende Information, ungenügender Ersatzverkehr und unflexible Betriebsführung waren hierbei die "Renner".
Für 2002 planen wir die Neuauflage unserer altbewährten "Kummerkarte". Das ist eine Postkarte, auf der Beschwerden/Anregungen schnell und übersichtlich eingetragen werden können.
Deshalb fordert der Berliner Fahrgastverband IGEB, die Verschwenkung der Gleise am Lehrter Bahnhof um einen Monat zu verschieben. Somit stünde mehr Zeit für den Bau des Daches zur Verfügung. Und die Zahl der von den vielen Unterbrechungen betroffenen Fahrgäste wäre deutlich geringer, weil die Unterbrechung der Stadtbahn dann mitten in den Sommerferien läge. Und Herr Mehdorn wird wohl nicht ernsthaft behaupten können, dass eine Verschiebung um einen einzigen Monat seinen Baufahrplan der nächsten vier Jahre aus den Gleisen kippt.
Welchen Stellenwert für Herrn Mehdorn die Kunden haben, kann er nicht nur durch Korrektur der Zeitplanung für die Verschwenkung beweisen, sondern auch durch Einsatz für die Erreichbarkeit "seines" schönen neuen Bahnhofes. Denn als Folge des Berliner "Sparens um jeden Preis" muss ernsthaft damit gerechnet werden, dass zum Jahr 2006 weder eine Straßenbahn noch die S 21 zum Lehrter Bahnhof fahren. Bei der S-Bahn droht ein Jahre dauernder Streit, wer diesen Bau finanziert: der Bund oder das Land Berlin - und deshalb wurde noch nicht einmal mit dem Planfeststellungsverfahren für die S-Bahn begonnen.
2001 hatten sich der damalige Regierende Bürgermeister, Eberhard Diepgen, und die Senatoren Peter Strieder (Verkehr) und Wolfgang Branoner (Wirtschaft) gegen Tariferhöhungen ausgesprochen. Dennoch wurden die Fahrpreise zum 1. August 2001 erhöht.
Auf der Strecke blieben die Glaubwürdigkeit der Politik - und die Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs. Ein erheblicher Teil der VBB-Tarife liegt inzwischen auf der Höhe oder sogar noch über den Tarifen in den alten Bundesländern, obwohl die Arbeitnehmer in Berlin und Brandenburg 10 bis 30 % niedrigere Einkommen haben als die in Hamburg, Düsseldorf oder München.
2002 schien sich alles zu wiederholen. Obwohl sich sowohl der rot-grüne wie auch der nachfolgende rot-rote Senat gegen weitere Tariferhöhungen und sogar für Tarifsenkungen aussprachen, forderte die BVG, auch 2002 die Tarife um durchschnittlich 3 % zu erhöhen - wieder zum 1. August. Und wieder wäre die Politik machtlos gewesen. Aber erstmals scherte die S-Bahn Berlin GmbH aus dem Bündnis der Preistreiber aus. Und so besteht die Chance, dass 2002 die VBB-Tarife stabil bleiben. Fast. Zum einen wurden einige Tickets mit der Umstellung von DM auf i geringfügig billiger. Zum anderen gab es ausgerechnet bei den Gruppentarifen drastische Verteuerungen:
So erfreulich es ist, dass der IGEB-Forderung nach Wiedereinführung der Kleingruppenkarte (endlich !!) entsprochen werden soll, so unverständlich ist die extreme Verteuerung. 15 bzw. 16 i sind zu viel!
Es bleibt festzuhalten: Der Berliner Fahrgastverband IGEB unterstützt mit großem Nachdruck die Position der S-Bahn, die VBB-Tarife im Jahr 2002 nicht zu erhöhen. Gleichzeitig fordern wir, die gewonnene Zeit für die Vorbereitung grundlegender Veränderungen zu nutzen:
4. Straßenbahnausbau im Schneckentempo
Verantwortlich dafür ist die mehr als 10 Jahre regierende Koalition aus CDU und SPD. Doch wer nun geglaubt hatte, dass der neue SPD/PDS-Senat beim Straßenbahnbau auf das Tempo drückt, wurde bereits bei der Koalitionsvereinabrung enttäuscht. Dort steht: Vorrangige Netzergänzungen bei der Straßenbahn sind, soweit ihre Wirtschaftlichkeit nachgewiesen wird:
"Soweit ihre Wirtschaftlichkeit nachgewiesen wird" - was soll diese Einschränkung? Für die genannten vier und für viele andere Berliner Straßenbahnbauvorhaben gibt es bereits Untersuchungen, zum Teil sogar mehrere. Und bei den meisten der Straßenbahnneubaustrecken wurden Nutzen-Kosten-Faktoren errechnet, die bei der U-Bahn wegen der extrem hohen Tunnelbaukosten unerreichbar sind. Warum wollen SPD und PDS nun nochmals Geld für Untersuchungen ausgeben, anstatt endlich mit den Planfeststellungsverfahren bzw. mit den Bauarbeiten zu beginnen? In Adlershof könnte sofort weitergebaut werden. Doch lieber riskiert der rot-rote Senat, dass die Berlin vom Bund jährlich zustehenden GVFG-Gelder auch 2002, wie so oft, nicht oder nicht sinnvoll ausgegeben werden können. Oder schlimmer noch: Um den Landesanteil von einigen Millionen i einzusparen, wird auf die dreifache Summe an Bundeszuschüssen verzichtet! Würde diese jüngste Sparüberlegung vom SPD/PDS-Senat umgesetzt, wäre das eine für die Berliner Verkehrs-, Stadtentwicklungs- und Umweltpolitik, aber auch für die Arbeitsmarktpolitik fatale Fehlentscheidung. (Auch Sparen sollte mit Verstand erfolgen.)
Der Berliner Fahrgastverband IGEB appelliert deshalb eindringlich an SPD und PDS: Fangt endlich an - mit den ausstehenden Planungen ebenso wie mit den planungsrechtlich bereits möglichen Bauarbeiten.
In den Nächten außerhalb der Wochenenden, in denen das Verkehrsaufkommen deutlich geringer ist und schon aus Gründen des Sicherheitsempfindens der Fahrgäste ein U-Bahn-Betrieb nicht sinnvoll wäre, sind parallel zu den U-Bahn-Linien entsprechende Nachtbuslinien einzurichten. Gleichzeitig muss auch das Nachtbusnetz angepasst werden. Die Beibehaltung des bisherigen Anschlussknotensystems ist dabei sicherzustellen.
Ein Verkehrs- und Tarifverbund in der Region Berlin ist unverzichtbar. Nach der Wende und noch bevor es den VBB gab stieß die seinerzeit freiwillige "Tarifgemeinschaft Berlin und Umgebung" (TBU) auf große Akzeptanz. Dies haben zuvor bereits die Väter des Einigungsvertrages so eingeschätzt, in dem Sie einen Verkehrsverbund im Ballungsraum Berlin vorgaben.
Der Verbundraum ist zu groß und geht über die tatsächlichen räumlichen Verflechtungen hinaus. Der Verbund ist nicht nur im Tarifbereich "Berlin ABC" sondern auch in Brandenburg erforderlich. Im Gebiet des VBB gibt es unterschiedliche Verflechtungsräume, die z.T. nur marginal korrespondieren. Anstelle der zwanghaften Eingliederung des Lausitzer Verbundes ZÖLS in den VBB (zum 1.8.2002) hätte besser ein Überlappungstarif zweier benachbarter Verbünde stehen sollen. Auch die Einbindung der Uckermark oder der Prignitz in einen Verbund mit dem Großraum Berlin produziert einen erheblichen Aufwand an Verwaltung und Technik, erfasst jedoch die Bedürfnisse in diesen Räumen kaum.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB fordert, statt einer Reform des VBB nunmehr eine Reorganisation des Verbund- und Tarifsystems in und um Berlin einerseits und in den verschiedenen Regionen Brandenburgs anderseits umzusetzen. Diese möglichen selbstständigen kleineren Verbünde in Brandenburg sowie den angrenzenden Ländern müssen selbstverständlich durch Anschluss- und Übergangstarife miteinander verknüpft werden, wie z.B. zwischen VRR im Ruhrgebiet und VRS im Rheinland.
Der VBB, genauer: die Verbundgesellschaft ist ganz offensichtlich überfordert, was sich durch weitgehend mangelhafte Arbeitsergebnisse darstellt. Bisher war der VBB nicht in der Lage, zwischen den unterschiedlichen Interessenlagen zu moderieren. VBB und Verkehrsunternehmen wurden eher zu Kontrahenten statt zu Partnern. Arbeitslücken des VBB, wie z.B. die Fahrgastinformation, wurden meist durch die Verkehrsunternehmen geschlossen. Die Umsetzung des politischen Auftrags nach einer Tarifvereinfachung ist ebenso überfällig wie die Integration der BahnCard in den VBB-Tarif sowie die Wiedereinführung des Kleingruppenfahrscheins. Trotz eines überdimensionierten Verwaltungsapparats vergibt der VBB wesentliche Teile seiner eigentlichen Aufgaben an externe Institutionen. Unsummen werden aus den ohnehin immer knapper werdenden Regionalisierungsmitteln durch Deckung eigener Arbeitsdefizite ausgegeben - Gelder, mit deren zweckgemäßem Einsatz manche Nahverkehrsleistung bspw. in der Fläche ermöglicht werden könnte. Damit wird deutlich, dass es im VBB kaum eigene Kreativität zur Gestaltung des Nahverkehrs gibt.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB fordert, die Aufgabenstellung des VBB auf wesentliche Kernaufgaben festzulegen, Mehrfachkompetenz zwischen Ländern, Verbund und Verkehrsunternehmen klar zu definieren sowie zugunsten von Mehrleistungen im Nahverkehr den aufgeblähten Apparat des VBB auf das erforderliche Minimum zu reduzieren.
Der VBB wird nicht qualifiziert und kompetent beaufsichtigt. Der Aufsichtsrat ist ungleich gewichtet. So stellt Berlin ganze vier von 26 Aufsichtsratsmitgliedern. Die Belange der Hauptstadt liegen damit fast nur in den Händen brandenburgischer Landräte. Durch die ausschließlich politische Besetzung des Aufsichtsrats fehlt es für die fachlichen Entscheidungen an der zwingend notwendigen Fachkompetenz.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB fordert, die an der Anzahl von Gebietskörperschaften orientierte Proporzbesetzung des Aufsichtsrats abzuschaffen und neben der Berufung einer geringen Anzahl von Politikern die übrigen Aufsichtsratsmitglieder nach paritätischen und fachlichen Kriterien zu bestellen. Selbstverständlich gehören die Fahrgastverbände Berlins und Brandenburg in dieses Aufsichtsorgan. Nicht nur die Beaufsichtigung des VBB ist kritikwürdig.
Der VBB lässt sich nicht mehr beraten. Seit der Abschaffung des Fahrgastbeirats durch den früheren VBB-Geschäftsführer Lorenzen verzichtet der VBB darauf, sein Ohr am Kunden zu haben, obgleich er den politischen Auftrag der Organisation des Dialogs mit den Verbänden hat. Der VBB hingegen lehnt diese Zusammenarbeit ab und verweigert den Fahrgastverbänden jegliche Informationen, selbst Pressedienste.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB fordert, umgehend den Fahrgastbeirat beim VBB wieder einzuführen und diesem klare Kompetenzen zu übertragen.
Christfried Tschepe Stellv. Vorsitzender
Matthias Gibtner Abt. Fahrgastbelange